Konferenzbeitrag
Informatik als wissenschaftliche Methode: Zur Rolle der Informatik in Forschung und Anwendung
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Datum
2011
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Verlag
Gesellschaft für Informatik e.V.
Zusammenfassung
Die Informatik als wissenschaftliche Disziplin hat sich in Stufen entwickelt. Anfänglich eng auf Kerninformatik konzentriert standen Fragen der Programmierung und der Ausführung von Programmen auf Rechnern wie Themen der Gestaltung von Programmiersprachen, Übersetzer und Interpreter und Fragen der Methodik des Programmierens sowie theoretische Themen wie die Beschreibung von Sprachen, formale Sprachen, Berechenbarkeit und Berechnungskomplexität im Vordergrund. Mit der rasanten Entwicklung der Anwendungen der Informatik weitete sich diese Thematik schnell auf eine Reihe stärker anwendungsorientierter Themen einer ingenieurgeprägten Informatik aus wie Datenbanken, Software Engineering, verteilte Systeme und generell Gestalten und Evolution großer Softwaresysteme. Gleichzeitig wandte sich die Informatik Fragen der Kommunikation und der Datenübertragung in weltweiten Rechnernetzen zu, der Nutzung der Informatik zur Verarbeitung von Bildern, auch von bewegten Bildern. Ende der 70er Jahre hatte sich die Informatik als zentrale Wissenschaft der Information und deren Verarbeitung alle Bereiche des Rechnens, Speicherns, Übertragens und Darstellens von Information etabliert. In dr nächsten Stufe lief die Welle des in die Breite gehenden Einsatzes von Informationstechnik und damit verbunden auch von Software durch Entwicklungen wie dem Personal Computer, später dann Laptop und Smart Phone, durch Rechnernetze wie das Internet und später das World-Wide-Web und durch eingebettete Systeme. Die exponentielle Zunahme der Leistungsfähigkeit der Hardware und damit die Möglichkeit, immer größere und umfassendere Softwaresysteme zum Einsatz zu bringen und auch ostengünstige Lösungen anzubieten, erschlossen schnell neue Gebiete. Es entstand schnell eine Reihe von spezifischen Anwendungsgebieten der Informatik. Jede Anwendung der Informatik in einer Anwendungsdomane erfordert unwillkürlich eine Erschließung von Teilen der Domäne mit Modellierungsmitteln der Informatik. Entsteht eine Anwendung ohne explizite Modellbildung im Wesentlichen durch Programmierung wie bei den agilen Vorgehensweisen, bleiben diese Modelle implizit. In jedem Fall findet aber, implizit oder explizit eine Modellbildung für einen Ausschnitt der Anwendungsdomäne mit Mitteln der Informatik statt. Diese Modellierungsmittel der Informatik sind grundlegend digital, stützen sich auf diskrete Strukturen der Datenmodellierung, auf Taxonomien und Ontologien, auf logische Strukturen, auf Konzepte wie Zustandsmaschinen und diskrete Prozesse. Dann stellt sich die Frage, welches domänenspezifische, fachliche Wissen in Programmen enthalten ist und wie dieses gegebenenfalls zu extrahieren ist. Mit den Modellierungsmitteln der Informatik ergibt sich eine völlig neuartige Methode, Gegenstände, Themen und Zusammenhänge durch Modelle zu erschließen. Dabei wirken mehrere Effekte zusammen. Einmal können die digitalen Modellierungsansätze der Informatik die Zusammenhänge in den unterschiedlichen Anwendungsgebieten nicht nur mit Mitteln der Logik erfasst, sondern auch einer Behandlung durch Rechenverfahren wie der Simulation oder automatische Deduktion zugänglich gemacht werden. So schafft die Informatik mit ihren Ansätzen zur Darstellung von Systemen und Prozessen, wie sie im Bereich der Modellierung von Programmen und Softwaresystemen entstanden sind, durch völlig neue Sichten, wissenschaftliche Erkenntnisse und Möglichkeiten ingenieurmäßiger Anwendungen. Neuartige Systembegriffe entstehen. Forschungsarbeiten zur Verknüpfung von klassischen Sichten auf Systeme durch kontinuierliche Funktionen werden verbunden mit diskreten Modellen von Systeme als Zustandsmaschinen, Architekturen von Teilsystemen mit Begriffen wie Schnittstelle und Interaktion. Letztendlich bieten sich auf dieser Basis völlig neue Möglichkeiten im Sinne einer wissenschaftlichen Methode, in den USA auch als ”Computational Thinking” bezeichnet, mit ganz eigenen Vorgehensweisen zur Modellierung komplexer Systeme. Beides in Verbindung eröffnet einzigartige Wege in Forschung und Anwendung. Eine umfassende Anwendung dieses Ansatzes führt beispielsweise in die Richtung virtuelles Entwickeln (”Virtual Engineering”), bei der der gesamte Entwicklungsprozess komplexer Systeme aus Mechanik, Elektronik und Software bis hin zur Gestaltung der Produktion und Wartung vollständig im Rechner geplant, ausgearbeitet und gesteuert wird. Dabei ist Informatik als wissenschaftliche Methode mehr als ”algorithmisches Denken” (ein Übersetzungsversuch zu ”Computational Thinking”). Gerade der Prozess der Modellierung und Formalisierung einer Problemstellung oder eines Zusammenhangs schafft Einsichten und Perspektiven, aber auch die Voraussetzung für die Entwicklung und Anwendung von Algorithmen, die dann allerdings einen entscheidenden Mehrwert für Informatik als wissenschaftliche Methode liefern.