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Konferenzbeitrag

Die Kontrollnetze und 'Rechnenden Räume' des Konrad Zuse im „Dritten Reich“

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2010

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Gesellschaft für Informatik e.V.

Zusammenfassung

Die über den Nachlass jetzt zugänglich gewordenen Korrespondenzen und zusätzlichen Dokumente und Texte vermitteln ungeachtet aller Nachlasslücken ein schärferes Bild der technisch-wissenschaftlichen, politischen und weltanschaulichen Entwicklung Konrad Zuses von den späten 20er bis in die 40er Jahre. Sie lassen deutlicher den Wandel von einem künstlerisch ambitionierten, technisch verspielten, mit neuen Medien und Automaten experimentierenden Erfindertalent zu einem durch die Weltwirtschaftskrise verunsicherten Ingenieurstudenten erkennen, der nach beruflichem, gesellschaftlichen und weltanschaulichem Halt suchte. Er ordnete sein Ingenieurweltbild mit Henry Fords Heilsbotschaft, die sozialen Konflikte durch ein neues gesellschaftliches Regulationsmodell auf der Basis von Automatisierung und Massenproduktion zu lösen. Er fand Halt in Spenglers radikalkonservativem „preußischen Sozialismus“, der mit den Mitteln der „faustischen Technik und Erfindung“ die Gesellschaftskrise in Deutschland überwinden und mit einer „weißen Weltrevolution“ den drohenden Untergang aufhalten wollte. Zuse begriff sich mit seinem „faustischen Projekt“ eines `universalen' Rechenautomaten sogar als Vollstrecker der Spenglerschen Prophezeihung des kommenden „Zeitalters, in dem alles berechnet werden kann“. Er formte seit den frühen 30er Jahren ein rechtskonservatives Weltund Gesellschaftsbild, in dem sich technokratische Aspirationen zur Berechnung, Kontrolle, Steuerung und Ordnung der gesellschaftlichen Kräfte und die politisch-soziale Konstellation des nationalsozialistischen Deutschland mehr und mehr durchdrangen. Die Integration wurde verstärkt durch den erfolgreichen beruflichen Einstieg in ein Unternehmen, das unmittelbar von Hitlers Aufrüstung profitierte. Mit seinem Bestreben, die Erfindung unter allen Umständen zu realisieren und, nach Kriegsbeginn, der Einberufung an die Front zu entgehen, geriet er immer mehr in die Mühlen von Militärtechnik und Kriegswirtschaft. Zuses ambitioniertes Projekt einer programmgesteuerten Rechenmaschine kam dadurch trotz des zivilen Ursprungs Ende der 1930er Jahre zunehmend in militärisches Fahrwasser. Seine Versuchsanlagen wurden ab 1940 entgegen späterer Selbsteinschätzung mit insgesamt ca. 300 Tsd. RM relativ großzügig von (halb-) staatlichen und militärischen Stellen gefördert. Zudem erhielt er seit Anfang 1943 und verstärkt seit der Einbeziehung in das „Jägerprogramms“ ab November 1944 immer weitergehende kriegswirtschaftliche Privilegien. Die Zuse-Firma wurde so am Ende zu einem Anhängsel der militärischen Flugzeug- und Flugbomben-Entwicklung. Im Sog der „Endfertigung“ richtete er sich nun bereits auf eine Serienfertigung seiner Maschinen ein und berechnete die bei einer Verteilung vieler Rechengeräte über das Reich erzielbare Arbeitseinsparung auf eine Million Arbeitstunden, wobei er ständig neue Einsatzmöglichkeiten anvisierte. Durch den zeitgeschichtlichen Kontext verschoben sich auch Zuses Nutzungsvorstellungen und Anwendungskonzepte für seine Geräte, so dass das anfängliche Ziel einer „Rechenmaschine des Ingenieurs“ immer mehr in den Hintergrund trat. Die Entdeckung der Potentiale des „Allgemeinen Rechnens“ ab 1938/39 fiel nämlich zeitlich zusammen mit rüstungs- bzw. kriegwirtschaftlichen Organisationsproblemen sowie kriegsgesellschaftlichen Kontrollbedürfnissen des NS-Staates. Die Einbindung in die Kriegswirtschaft des “Dritten Reiches“ bewog Zuse, konzeptionell die Bestandsführungs- und Kontrolltechniken der Lochkartenwelt mit den technischwissenschaftlichen Berechnungen des frei programmierbaren Computers zu verknüpfen. Daraus entstanden bei ihm umfassende Ideen der „automatischen Behandlung schematisch-kombinatorischer Aufgaben“ und der Erfassung des „ganzen schematischen Wissens“ in ständig aktualisierbaren organisatorisch vernetzten „Speicherwerken“. Zuse entwarf in Tagebuchnotizen wie in Nutzungsvorschlägen für staatliche Instanzen perfekte Systeme betrieblicher und verwaltungsmäßiger Erfassung und Kontrolle, Staat und Wirtschaft wurden so für ihn permanent ‘rechnende Räume’. Seine Entwurfsskizzen zur „Gefolgschaftskontrolle“, zur Warenbestandsstatistik und „Warenkreislaufkontrolle“ sowie zur allgemeinen Personendaten-Speicherung unterschieden sich dabei in der Konzeption kaum von den Lochkarten-basierten Erfassungs-, Sortier- und Kontrollsystemen des „Dritten Reiches“. Allerdings hatten Zuses Personen- und Sachen-Erfassungskonzepte wegen des noch unfertigen Zustandes seiner Versuchsanlagen ausschließlich Projektcharakter, sie blieben durch das Kriegsende im Mai 1945 lediglich Ausdruck ausufernder technokratischer Kontrollphantasien. In seinen Visionen einer mithilfe verkoppelter Rechenmaschinen und Erfassungsstationen durchrationalisierten Staatserwaltung und Wirtschaft durchdrangen sich politischweltanschauliche Orientierungen, professionelle Einstellungen und zeitgeschichtliche Rahmenbedingungen. Die durch das „Dritte Reich“ bewirkte Prägung ging dabei so tief, dass Zuse auch noch in den Nachkriegsjahren die Realisierung von umfassenden computerbasierten Erfassungs- und Kontrollsystemen weiterverfolgte und zeitlebens an dem Ideal eines informationstechnisch perfekt organisierten Staates festhielt, wobei er die daraus erwachsenden vermehrten staatlichen Kontrollmöglichkeiten als unvermeidlich hinnahm. Trotz seiner Erfahrungen während des „Dritten Reiches“ wurde er sich der Gefahren des Zusammenspiels von technischen Kontrollpotentialen und politischem Interesse an umfassenden Massenbeobachtungs- und Kontrollsystemen offenbar niemals bewusst.

Beschreibung

Hellige, Hans Dieter (2010): Die Kontrollnetze und 'Rechnenden Räume' des Konrad Zuse im „Dritten Reich“. INFORMATIK 2010. Service Science – Neue Perspektiven für die Informatik. Band 2. Bonn: Gesellschaft für Informatik e.V.. PISSN: 1617-5468. ISBN: 978-3-88579-270-3. pp. 466-467. Regular Research Papers. Leipzig. 27.09.-01.10.2010

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