Koerber, BernhardMüller, Jürgen2017-12-052017-12-052010https://dl.gi.de/handle/20.500.12116/8327Das Ziel dieses Spiels ist eindeutig: Der Gegner muss umgebracht werden. Und genau das faszinierte ihn. Er war fast sieben Jahre alt, als er das erste Mal mit diesem Spiel in Berührung kam. Seine fünf Jahre ältere Schwester hatte es ihm gezeigt und setzte ihn daran, damit sie nicht ständig auf ihn aufpassen musste. Denn da ihre Mutter sie alleine erzog, musste sie oft während der Arbeit ihre beiden Kinder sich selbst überlassen. Eigentlich war er ein stilles Kind. Doch die Schlachten, die er in diesem Spiel austrug, nahmen immer mehr von seinem Leben ein. Zum großen Kummer seiner Mutter zeigte seine Besessenheit keine Linderung. Er nahm Kontakt mit Gleichgesinnten auf und verbrachte Nächte mit ihnen und diesem Spiel. Die Diskrepanz zwischen seiner Spielwelt und seinem Alltag als Schüler einer Highschool war schließlich für den mittlerweile Fünfzehnjährigen zu groß. Im Unterricht zeigte er sich mürrisch und desinteressiert. Er arbeitete wenig und ignorierte die Lehrer. Er sah nicht ein, inwieweit ihm ein Schul-Abschluss bei seinen Zielen, die er beim Spielen verfolgte, nutzen konnte. Seine Lehrer wussten, wie intelligent er eigentlich war und welches Potenzial er hatte, aber es erwies sich als unmöglich für sie, ihn in den Unterricht zu integrieren. Er verließ die Schule. Auch die Beziehung zu seiner Mutter wurde immer problematischer. Kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus und suchte bei einer Freundin Zuflucht. Dreizehn Jahre später war er Weltmeister in dem Spiel, das seine Leidenschaft oder vielleicht sogar seine Sucht war! Die Rede ist hier von Robert James Fischer, der eher unter dem Namen Bobby Fischer bekannt ist und der 1972 in einem aufsehenerregenden Match Schachweltmeister wurde. Der Lebenslauf Fischers zeigt, wie schwierig es ist, sich auch dem Thema Computersucht zu nähern. Einerseits werden Fischer durchaus schwerwiegende, aus familiären Konflikten resultierende psychische Probleme attestiert, die zu Verhaltensauffälligkeiten führten. Andererseits gilt Fischer angesichts seiner unbestrittenen Leistungen letztlich als eine herausragende Persönlichkeit der Schachgeschichte. In jedem Fall aber reicht es nicht aus, einzig dem Schachspiel oder dem Computer die Schuld zuzuweisen. Probleme dieser Art setzen stets eine differenzierte Betrachtungsweise voraus, um ihre Lösung anpacken zu können. Digitale Medien wie das Internet und seine vielfältigen Möglichkeiten im Alltag sind nicht mehr wegzudenken. Unbestreitbar bietet z. B. das Internet eine Erweiterung der Lebenswelt und stellt somit einen neuen Sozialraum dar. Bestimmte Grundbedürfnisse der Menschen lassen sich auf den ersten Blick immer und überall befriedigen. Dies geht über das einfache Kommunizieren per EMail weit hinaus und deckt das Verlangen nach Sozialisation und Selbstverwirklichung sowie den Spieltrieb und das Bedürfnis nach Identitätsbzw. Rollenspielen ab. Der leichte Zugang, die scheinbare Anonymität und die Vielfalt an Möglichkeiten machen das Internet zu einem überaus reizvollen Lebensbereich, der manche Menschen nicht mehr loslässt. Und so kann es zu einem suchtartigen Verhalten kommen ein unwiderstehliches Verlangen, am Computer zu spielen oder online zu sein. Beginn, Beendigung und Dauer werden kaum noch kontrolliert. Entzugserscheinungen bei verhindertem Zugang und fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen sind zu beobachten. Ab wann kann von Suchtverhalten gesprochen werden? Welche Art der Internet- und Computerspielnutzung betrifft welche Menschen? Suchtforschung galt bisher der Auseinandersetzung mit substanzgebundener Abhängigkeit. Immer mehr richtet sich der Blick auf sogenannte substanzungebundene Süchte wie z. B. die Computersucht. Sowohl die Zahl der Betroffenen als auch die Zahl derer, die tatsächlich Beratung und Hilfe suchen, ist hoch und sie steigt weiter. Das vorliegende Heft ist deshalb diesem Phänomen gewidmet, und es werden der Stand der Forschung sowie Trends und Erfahrungen mit substanzungebundenen Süchten vorgestellt, insbesondere die Computerspielsucht sowie die Internetsucht, die unter Schülerinnen und Schülern auftreten können. Darüber hinaus finden sich auch Überlegungen zu Therapie, Behandlung und Prävention dieses Phänomens sowie neurobiologische Aspekte. Und es wird auch deutlich gemacht, was Eltern und Lehrkräfte tun können, um einem suchtartigen Verhalten von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen: Sie sollten die Computernutzung beobachten, auf Verhaltensänderungen achten, alternative Freizeitaktivitäten und das Eingebundensein in die reale Welt und ihre Gemeinschaften unterstützen. Wichtig ist, sich für die Kinder Zeit zu nehmen und mit ihnen darüber zu sprechen, warum sie spielen, was ihnen daran gefällt. Damit lässt sich feststellen, welche Vorteile und welche Funktionen die 'virtuelle Welt' für das Kind hat, und es können Alternativen aufgezeigt werden. Ein Fehler wäre es, Computer grundsätzlich zu verteufeln. Kinder und Jugendliche müssen lernen, mit Medien umzugehen. Das Spielen am Computer darf und kann auch einfach Spaß machen. Tatsächlich könnten Lehrkräfte hier viel von ihren Schülerinnen und Schülern lernen. Ziel ist in jedem Fall, den Computer für die eigene Lebenswelt zu nutzen, im Sinne eines selbstbestimmten, kreativen, verantwortungsvollen Umgangs und den jungen Menschen dabei zu helfen, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Bernhard Koerber Jürgen MüllerdeSucht und LeidenschaftText/Journal Article10.1007/BF033236570720-8642